Foto © Eibe Sönnecken
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Bild © Axel Stephan
Foto © Martin Repplinger
Foto © Martin Repplinger
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Zeichnung © Franken\Architekten
Zeichnung © Franken\Architekten
Zeichnung © Franken\Architekten

Kleine Rittergasse 11

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Standort
Kleine Rittergasse 11, 60594 Frankfurt am Main, Deutschland
Jahr
2014
Bauherrschaft
Rothenberger 4xS GmbH
Team
Bernhard Franken, Frank Brammer, Robin Heather, Natascha Baier, Kai Heyd, Felix Schneider, Isabel Strelow
Fachplaner
Objektüberwachung: exact.projektmanagement / exitecture architekten, Frankfurt am Main Haustechnikplanung: Schüler Elektro – und Informationstechnik, Wiesbaden Statik & Brandschutz / Bauphysik: Tichelmann & Barillas Ingenieure, Darmstadt Elektroarbeiten

„Baby, yesterday's favourite don't you hate it Baby, life's what you make it don't back date it“ Talk Talk. 1985, album The Colour of Spring

Kleine Rittergasse 11 - Rekonstruktion als Nachbild

Franken Architekten wurde 2011 von einem privaten Bauherren beauftragt, im Kern der Sachsenhausener Altstadt, durch die Planung eines Wohn- und Atelierhauses in der Kleinen Rittergasse 11 einen neuen Impuls zu schaffen. Der Bestand setzte sich zusammen aus einer maroden dreiteiligen Häusergruppe. Aus der Summe der Gutachten ergab sich, dass die ursprünglich angestrebte Rekonstruktion weder bauhistorisch begründbar noch konstruktiv oder wirtschaftlich darstellbar war. Dieser Auffassung schloss sich auch das Amt für Denkmalschutz an und Franken Architekten plante nun den Abriss des Bestandes und einen kompletten Neubau.

Architektur im Spannungsfeld zwischen Tradition und Innovation

Durch den Neubau dieses Wohn- und Atelierhauses in der Kleinen Rittergasse wird ein positiver Impuls für Alt-Sachsenhausen geschaffen. Im Kontrast zu den zahlreichen touristischen Lokalitäten im Umfeld wird durch das Ansiedeln einer Mischnutzung aus Fotoatelier, Büro und Wohnungen eine kreative Zelle gesetzt und die in Alt-Sachsenhausen traditionelle Verbindung von Wohnen und Arbeiten wiederbelebt. Im Erd- und Untergeschoss befindet sich ein Atelier und Fotostudio mit Ausstellungsräumen, Küche, Bar und einer Apfelweinpresse, im 1. Obergeschoss die Büros der Fotografen und einer Galeristin und im 2. Obergeschoss zwei Wohnungen. In der historischen Recherche kam zutage, dass die Lücke zwischen Vorder- und Hinterhaus einstmals geschlossen war. Der Baukörper des Neubaus nimmt diese Kubatur der Bestandsgebäude abstrahiert auf und schließt die Lücke mit einem dritten Baukörper. Es entsteht ein dreigiebliges Gebäude ohne Dachüberstände mit einem gläsernen Mitteltrakt. Der Sockel ist mit Naturstein verkleidet. Die Bauaufsicht Frankfurt wählte das Projekt zu einem Ihrer Leitprojekte im Bereich Wohnen für das Jahr 2012. „Die Planung greift in besonderem Maße das historische Erbe auf und schafft mit einzigartigen Elementen eine Brücke zwischen dem tradierten Stadtbild und modernsten Anforderungen und hat daher auch den Segen der Denkmalschützer.“ (Zitat www.kapitalfreunde.de, 2012).

Fassade mit „Zitterstrich“

In der Fassadengestaltung wird die von Franken Architekten entwickelte Strategie des Nachbildes angewendet. Bei langer Betrachtung eines Objektes wird beim Schließen des Auges ein Phantombild auf der Netzhaut erzeugt. Dieses unscharfe Bild verblasst nach einiger Zeit. Bei jeder Rekonstruktion, wie beispielsweise auch bei der Dom Römer Bebauung in Frankfurt, wird lediglich ein Bild einer Vergangenheit erzeugt, die umso unschärfer wird umso näher man sie betrachtet. Aus dem Aufmaß des konstruktiven Fachwerks des Vorderhauses wurde eine Zeichnung angefertigt. Ein digitaler Algorithmus erzeugt einen parametrischen Zitterstrich immer an den Stellen, an denen einstmals Fachwerkbalken saßen. In der Fernwirkung erscheint durch den verdichteten Schwarzwert das Fachwerk als Andeutung um sich bei Annäherung in abstrakte Zitterstriche aufzulösen. Die Putzfassade lässt so das Fachwerk des Ursprungsbaus als „Nachbild“ durch eine maschinelle Fräsung wiederauferstehen, welche erst im Licht als Schattenriss erkennbar wird. Diese Reminiszenz an das alte Gebäude stellt einen subtilen und zeitgemäßen Umgang mit dem Genius Loci und mit dem Thema Rekonstruktion dar.

Digitale Fertigung

Für die Umsetzung in Putz entdeckte Franken Architekten StoDeco Plan, eine Granulatplatte des Putzspezialisten Sto, das dieser für die Rekonstruktion historischer Zierelemente und Leisten von Putzfassaden anbietet. Auf einer firmeneigenen Versuchsanlage des Bauherrn konnten auf Plattenrohlinge Muster mit einer 8 mm breiten und 5 mm tiefen Keilnut gefräst und in einem Probeaufbau montiert werden. Das Ergebnis war so überzeugend, dass der Hersteller Sto auf das von Franken Architekten entwickelte Verfahren aufmerksam wurde und mit viel Elan die endgültige Fertigung selbst übernahm. Der Datensatz für die 144 selbstähnlichen aber unterschiedlichen Platten wurde von Franken Architekten an Sto übergeben, der die Platten fertigte und an einen örtlichen Betrieb lieferte. Dieser montierte die Platten auf einem Wärmedämmverbundsystem. Das Nachbild des historisch unter Putz verborgenen unsichtbaren Fachwerkes wird nur durch den Schattenwurf der Keilnut sichtbar und wechselt je nach Lichtstand über den Tag hinweg sein Erscheinungsbild.

Semiotik des „Zitterstriches“

Der Zitterstrich könnte eine Schrift sein, die einen geheimen Text verschlüsselt. Nach Roland Barthes wird die Zeichnung des Fachwerks zum Zeichen. Aus parallelen Linien ohne jede Verbindung (Signifikant) entsteht im Betrachter das gedankliche Bild eines Fachwerks (Signifikat) - (Zitat Fiske, John (1990): Introduction to Communication Studies. 2. Auflage, London, New York: Routledge, S. 88-91). Die mitschwingende Konnotation ist die einer an diesem Ort erwartbaren historischen Bauform, die als „traditionell“, „handwerklich“ und „heimatverbunden“ wahrgenommen wird. Dies unterstützt den Mythos der in Frankfurt vorherrschenden Erzählung, dass die vormoderne Zeit mehr Identität und Heimat stiften konnte als die zeitgenössische Architektur. Dieses Bild wird nun aber in der Annäherung an das Gebäude dekonstruiert. Das Zeichen verschwindet und es bleiben rätselhafte Einzelstriche, die zu zittern beginnen. Mit „Zitterstrich“ wurde an der TU Darmstadt in vordigitalen Zeiten das Überzeichnen mit Tusche von einer Vorzeichnung mit der freien Hand bezeichnet, bei der man den Rapidographen absichtlich in zarten Schnörkeln um die Ideallinie „zittern“ ließ, um damit einen lockeren Strich und Eleganz anzudeuten. Aber hier ist der Strich nicht Ausdruck eines Körpers, der sich schreibt, sondern einer Maschine, eines Programms, eines Automatismus. Die willkürliche Perfektion der ornamentalen Schnörkel entzieht sich jeder Lesbarkeit.

Interior Design

Text spielt auch im Interior Design des Gebäudes eine Rolle. Im ersten Musikvideo der Popgeschichte - Bob Dylan`s Song „Subterranean Homesick Blues“ steht der Sänger in New York und blättert begleitet zum Song handschriftliche Fragmente des Liedtextes herunter. In der dunkellila Oberfläche der beide Wohnungen komplett ausstattenden Einbaumöbel ist der Text dieses Songs in einer selbst programmierten Verfremdung und Überlagerung als negatives Grafitti ausgespart. Der Text wechselt erneut das Medium vom Lied zur Schrift im Video, zum Text im Programm und zur Schrift auf der Oberfläche. Das leitmotivische Interior Thema kreist jedoch um einen zeitgenössisch interpretierten Arts and Crafts Chic. Dieser inszeniert sich in Details wie beispielsweise dem in Holzoberflächen mit Messing eingelassenen typischen „Gerippte“ Rautenmuster von Apfelweingläsern oder einem Fliesenmosaik mit Bembelmotiv. Durch dieses transformierte Kunsthandwerk mit Lokalkolorit entsteht eine ganz neue Sachsenhäuser „Gemütlichkeit“. Die Materialität und Farbe von Einbauten und Böden in massiver Eiche, dunkelgrüne Fliesen, auberginefarbene Wände und Oberflächen sowie Arbeitsplatten aus unbehandeltem Messing strahlen Wärme in den ganzen Raum aus. Auch die Oberflächen aller Armaturen und Türklinken wurden mit Unterstützung der Firma Galvanik Kreike auf das rohe Messing reduziert und können nun stilecht patinieren.

Ein Stadtviertel im Umbruch

Alt-Sachsenhausen ist ein historisches Altstadtviertel im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen, welcher von kleinteiligen Fachwerkhäusern, wenigen Gründerzeitbauten und Ergänzungen beziehungsweise Rekonstruktionen auf dem historischen Grundriss bestimmt ist. Das Viertel war geprägt durch Apfelweinlokale und bis in die 1990er Jahre ein beliebtes Ausgeh- und Amüsiergebiet, dass aber in den vergangenen Jahren stark heruntergewirtschaftet worden ist. Dies wird durch zahlreiche Bierschwemmen, Kampftrinkerlokale und Shisha Bars deutlich. Die Stadt Frankfurt bemüht sich seit einigen Jahren intensiv um den Stadtteil mit einer Erhaltungssatzung, Prämien für die Umnutzung von Gastronomie in Wohnen und andere Initiativen. Am Standort entfaltet sich eine Mikrodynamik. Rund um die benachbarte Brückenstraße entstand in den letzten Jahren eine Mikroszene von kleinen Werbeagenturen, Kunstgalerien, Mode- und Designerläden mit eigener Kollektion, oft auch mit Lokalkolorit. Der Bauherr, Projektentwickler Steen Rothenberger, der in Frankfurter Immobilienkreisen als Mann für das Besondere gilt, setzt mit dem Wohn- und Atelierhaus “Kleine Rittergasse 11“, wieder ein Zeichen für die Stadt. Diesmal in Alt Sachsenhausen, SoMa, so bereits die trendige Abkürzung für “South of Main“, angelehnt an die Bezeichnung “South of Houston“, dem berühmten Szene-Viertel New Yorks. Ein Stadtviertel ist im Umbruch.

Crowdfunding – Kleine Rittergasse 11 als Nukleus für private Stadtentwicklung

Um den Frankfurter Bürgern eine Möglichkeit zu geben, sich direkt an der Transformation von Alt-Sachsenhausen zu beteiligen, wurde ein Teil der Investition über „Crowdfunding“ finanziert. Die “Kleine Rittergasse 11“ ist deutschlandweit das erste Projekt im Immobilienbereich, das diese aus dem Social Media Bereich kommende Partizipationsmöglichkeit von Nutzern an Projekten, die sie für unterstützenswert halten, anbietet. Das Projekt ist ein exzellentes Beispiel dafür, was private Initiative auch als eine ökonomisch interessante Möglichkeit, sich an Stadtgestaltung zu beteiligen, für ein Stadtviertel bedeuten kann.

Hospitality als Identitätsträger: “Der kleine Mann mit dem Blitz“

Im Erdgeschoss befindet sich das Herzstück des Hauses: ein Raum für Happenings 2.0. Dieser besteht aus dem Fotostudio mit Ausstellungsräumen übergehend in eine offene Küche. Räumlich sind die beiden Bereiche über einen abgestuften Ebenenversatz mit eingelassener Sitzgelegenheit verbunden. Im Keller liegt eine Bar mit sichtbarer Apfelweinkelterei. In der Kleinen Rittergasse 11 verschmelzen privater und öffentlicher Raum. Die Bewohner mischen sich mit der Stadtbevölkerung. Es entsteht ein Community Space. Partizipativ und lässig exklusiv.

www.mannmitblitz.de

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