Haus mit Atelier
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- Wißgoldingen, Germania
- Anno
- 2008
- Cliente
- privat
- Team
- kaestle ocker roeder (C18 Architekten): Andreas Ocker, Michel Roeder
Experimente statt Konventionen – Es ist noch nicht so lange her, dass das Leben auf der Schwäbischen Alb schwer war. Auch wenn das heute kaum mehr so ist, in den Namen lässt es sich noch ablesen. Es gibt Erhebungen, die Kaltes Feld heißen, oder karge Ebenen wie das Härtsfeld, das seinen Namen von den Steinen im Boden bekam. Heute fasziniert die Schwäbische Alb durch eine mitunter atemberaubende Landschaft, weite Blicke ins Land, schroffe Felsen, große Höhlen, die zu weit verzweigten, unterirdischen Systemen gehören.
Von Schwäbisch Gmünd, im östlichen Vorland der Alb, führt die Straße wie auf einer Himmelsleiter bergauf, am Rechberg vorbei nach Wißgoldingen, wo sich die Landschaft nach Süden öffnet. Hier, an einem Südwesthang, haben C 18 Architekten für den Schmuckdesigner Georg Spreng und dessen Familie ein Haus mit Atelier gebaut. Zur Straße hin ist es verschlossen, fällt es vor allem durch seine Fassade aus weißen, quadratischen Fließen auf, auch die kubische Form unterscheidet es von den Nachbarn. Aber es ist nicht so, dass sich das Haus vor den Nachbarn verschließt. Ein Turmzimmer mit einem Fenster zur Straße, die zum Haus führt, verortet das Haus in der Nachbarschaft. Kein Zaun hält den Besucher ab, auf das Grundstück zu treten und über eine Mauer hinunter auf den Teich im offenen Atrium und in den Wohnbereich der Hausherrn zu blicken. Symmetrisch liegen hier zu zwei Seiten zwei Eingänge, mit zwei dicken roten Klingelknöpfen. Man kann hier schon einiges von diesem Haus mitbekommen, davon, wie sich das Innen mit dem Außen verschränkt, davon, dass man es hier mit einem besonderen Haus zu tun hat.
Aber um das Haus richtig zu verstehen, muss man hinein. Im Eingangsbereich die erste Überraschung. Große runde Oberlichte erhellen den Raum, und über eine noch größere runde Öffnung fällt das Licht auch in die darunterliegende Ebene. Beide Geschosse sind dadurch direkt miteinander verbunden. Eine gelbe Sitzbank schmiegt sich an die Brüstung. Schon jetzt ist klar: Hier wird nicht das Klischee das Architekten- oder Designerhauses reproduziert – ohne Farben, alles im rechten Winkel. Richtig, der Boden, die Wände sind weiß, ebenso die Türen der Garderobenschränke, die, ohne Griffe, sich auf Druck öffnen lassen. Aber von innen sind sie farbig. Nach links geht es durch ein in einem ins Violette gehenden, tiefen Blau gestrichenen Treppenhaus nach unten, daneben in die Schlafräume. Geradeaus kommt man in die Werkstatt, die aber auch über den anderen Hauseingang betreten werden kann. Spreng wollte Arbeiten und Wohnen im gleichen Haus haben, wollte dass beides seinen eigenen Bereich zugewiesen bekommt, aber nicht, dass das eine nichts mit dem anderen zu tun hat. C18 Architekten entwickelten eine Struktur, die dies leisten kann. Wie zwei U-förmige Bügel liegen die beiden Geschosse übereinander, das obere U ist zur Straße, das untere in die Landschaft geöffnet. Durch das Auge, das dabei entsteht, kann man nach unten schauen, auf einen Teich, auf dem auf einer kleinen Insel ein Baum gepflanzt ist, dessen Spitze man von der Straße aus sieht. Das untere U hat dabei kürzere Schenkel als das obere, so dass das Obergeschoss über das Untergeschoss auskragt, Teile des Freibereichs überdacht. Ganz nebenbei war die dafür notwendige Konstruktion, mit Auskragungen von bis zu sechs Metern, auch eine enorme statische Herausforderung. Links von diesen beiden sich überlagernden Bügeln schließt sich eine Zeile mit Zimmern und Bädern an. Am Ende liegt die Treppe, über die man in den Hochsitz, das Ausguckzimmer kommt, das man schon von außen gesehen hat.
Alle Räume auf beiden Ebenen öffnen sich nach Südwesten, in die kaum bebaute Landschaft. Man sieht nicht nur auf die Felder und Wiesen, sondern auch das Wetter kommen.
Vom Einfamilienhausgebiet ist dann nur noch wenig zu sehen. Offene Räume, eine raumhohe Verglasung mit dünnen Profilen, zoniert durch Stufen über die ganze Raumbreite, die in die Landschaft hinein führen, die Landschaft im Innern fortsetzen.
Es ist das erste Haus, das Spreng, Jahrgang 1949, für sich, für seine Familie gebaut hat. Die jungen Architekten aus Stuttgart lernte er über deren "Haus auf der Alb", das in unmittelbarer Nachbarschaft 2006 fertiggestellt wurde, kennen. Das spannende sei für ihn gewesen, herauszufinden, wie er wohnen wolle. In diesem Prozess war für ihn die Erfahrung wichtig, die er in Kanada gemacht hat. Dort hat er eine Zeitlang gelebt, auf einem Grundstück, das so groß war, dass man sich darauf habe verlaufen können, in einem Haus, in dem man bei entsprechendem Wetter zu spüren bekommen habe, wie verletzlich der Mensch ist, wie stark die Natur sein kann. So entstand eine intensive Beziehung zur Natur. Deswegen war ihm auch hier wichtig, ein intensives Verhältnis zur Landschaft aufbauen zu können, war ihm auch hier wichtig, das Haus in den Hintergrund treten lassen zu können. Dass und wie die Architekten diesem Wunsch gerecht geworden sind, ist die eine Seite an diesem Haus, die seine Faszination ausmacht, die gut überlegte Einbettung in die Landschaft, das Haus als ein Werkzeug, um die Landschaft zu spüren und die Verbindung zu ihr aufnehmen zu können.
Es gibt aber auch eine andere Seite dieses Hauses. Spreng ist von Haus aus Industriedesigner, baute die Gruppe Frogdesign mit auf. Er ist neugierig auf das, was Materialien können, wie man auf sie reagiert, mit ihnen umgeht. Zwischen den Architekten und ihm entspann sich über Detailfragen ein Dialog, der zu ungewöhnlichen Materialkombinationen führte, zu Kombinationen, die nicht gängigen Zuordnungen gehorchen. Das Material soll sprechen dürfen, die Sinne, das Gefühl ansprechen dürfen. Nirgends finden sich im Außenbereich, auch nicht in dem zur Straße hin, gepflasterte Wege oder glatte Terrassen, statten dessen grober Kies wie im Bett eines Gebirgsflusses. Die Vorhänge sind aus einem silbrigen, glitzernden Material, das eigentlich zur Einkleidung von Baugerüsten entwickelt wurde. Die zum Erdreich abschließende Rückwand im Wohnbereich ist als Stampflehmwand ausgeführt, die Schichten sind teilweise leicht pigmentiert, so dass ein Bild entsteht, das an einen Blick über die Alb mit nebelverhangenen Tälern erinnert. Die Architekten wussten die Offenheit des Bauherrn zu nutzen, sie wussten spielerisch damit umzugehen.
Das Haus ist ein Experimentierfeld. Erwartungen und Selbstverständlichkeiten werden hinterfragt. Konventionen vom Wohnen, aber auch architektonische Konventionen, “wie man etwas macht”, wurden aufgegeben. Ein Spiel wäre aber kein richtiges Spiel, wenn es nicht ernst genommen werden würde. Keine der an der Fassade angebrachten Fließen wurde geschnitten, die großen Spiegel, die die Wände der Gartenebene zwischen Wohnbereich und Atrium bekleiden, sind aus einem Stück. Der Holzboden aus kanadischer Birke ist hochwertig verarbeitet, der Wandputz hat einen hohen Lehmanteil und wirkt, ebenso wie die Stampflehmwand, feuchtigkeitsregulierend. Die raumhohe Verglasung mit den extrem dünnen Profilen ist die erste ihrer Art in dieser Dimension. Die Brüstung im Eingangsbereich an der runden Öffnung nach unten ist oben so abgerundet, dass man sie gerne anfasst, dass man aber auch nichts darauf ablegen kann. Alles hat seinen Grund, ist überlegt, ist so gewollt, auch wenn man auf die Lösung nicht selbst gekommen wäre.
C18 Architekten haben ein ungewöhnliches Haus gebaut, eines, das Lust macht, Lust aufs Wohnen wie auf diese Landschaft. Und so unkonventionell es auch in dieser Nachbarschaft sein mag, es passt doch hierher. Die Menschen von der Alb sind bekannt dafür, dass sie nicht so schnell etwas von anderen vormachen lassen. Das Leben war eben zu hart, als dass man es riskieren konnte, sich leichtgläubig auf andere zu verlassen.
Christian Holl